"Wer bereits als Kind die Welt zwischen den Zeilen für sich entdeckt, geht auch später gern als Abenteurer durchs Leben." {Creativity First}

Dienstag, 14. Juli 2015

[Rezension] Weit weg und ganz nah (Jojo Moyes)

Jojo Moyes: Weit weg und ganz nah 

Jojo Moyes ist bekannt für ihre emotionsgeladenen Romane. Nachdem mich vor einiger Zeit Ein ganzes halbes Jahr überzeugen konnte, war ich beim Gang in die Bibliothek nun umso erfreuter, dort direkt auf ein weiteres ihrer Werke zu treffen. An dieser Stelle war einmal wenig Zurückhaltung gefragt, und das Buch musste ausgeliehen werden. Gesagt, getan ... gelesen.
Besonders gelungen empfand ich den steten, zwischen den Zeilen mitschwingenden Optimismus, der  mal mehr, mal weniger Halt gab, aber als Konstante eine Präsenz ausstrahlte, der Mut macht, das Leben anzugehen.


~ Rezension ~

Wie lange kann der Glaube an Wunder aufrechterhalten?

Die kleine Tanzie ist ein echtes Genie: Ihre große Leidenschaft ist die Mathematik. Nicky, Tanzies Bruder, wird regelmäßig die Zielscheibe böswilliger Übergriffe. Jess, die alleinerziehende Mum der beiden, rudert Tag und Nacht, um ihren Kindern Hoffnung und Perspektive zu geben. Von Kummer und Nöten möchte sie sich nichts anmerken lassen. Als Jess eines Nachts eine beträchtliche Summe Geld findet, nagt das Gewissen an der jungen Mutter. Soll sie es sofort Mr. Nicholls, dem rechtmäßigen Besitzer, zurückgeben? Oder soll es zuerst Tanzies schulischer Förderung zugutekommen, bevor sie es bestimmt zurückzahlen wird? Noch bevor Jess zu einem klaren Schluss kommen kann, verschlägt es sie, ihre Familie und Mr. Nicholls unter aberwitzigen Umständen auf einen unfassbaren Roadtrip, der das Leben aller von jetzt auf gleich gehörig auf den Kopf stellen soll.

Mit Weit weg und ganz nah erzählt Autorin Jojo Moyes die konfliktreiche und zugleich nahe gehende Geschichte einer Familie, der ein paar wachsende Flügel von Herzen zu wünschen wären.

Diesen Roman prägen Charaktere, deren Ecken und Kanten, Sehnsüchte und Ängste real und aus dem Leben gegriffen scheinen. Es prallen nicht nur Welten materiellen Besitzes, sondern ebenso emotionale Drahtseiltänze aufeinander. Doch anstelle einer scharfen Kollision entwickelt sich vielmehr ein Verschmelzen miteinander. Wobei dies keinesfalls bedeutet, dass die Reibungsfläche kleiner wird. Im Gegenteil. Gefühl und Gewissen bilden zwei der tragenden Säulen der Handlung.

Überdurchschnittlich aufgefallen ist mir das Empfinden, sich Jess' Familie im Verlaufe der Geschichte immer verbundener zu fühlen. Jojo Moyes gelingt es, den Leser auf diesem alles verändernden Roadtrip tatsächlich ein Stück des Weges zu nehmen. Eine Authentizität, die ich sehr schätze. Das ging sogar so weit, dass ich selbst — wie Jess — dieses eine gehütete Geheimnis erfolgreich verdrängt habe, bis es eben nicht mehr zu kaschieren war.

Der Autorin schafft es, eine Tiefschichtigkeit aus Problemen, Bedürfnissen und Hoffnungen zu kreieren, welche dem Handlungsstrang eine markante Solidität verleiht. Greifbare klassische Bedrohungen der eigenen Zufriedenheit wie Versagensangst und chronische Geldsorgen, skrupelloses Mobbing und Vertrauensmissbrauch werden hierbei zur Basis des Romans.

Zwar werden die Geschehnisse durch einen außenstehenden Beobachter wiedergegeben, allerdings durch eine kapitelweise Verlagerung auf die Hintergründe der einzelnen Figuren breit aufgefächert. Während sich die eine Waagschale mit lebensechten Klippen füllt, sorgen auf der anderen Seite hoffnungsgebende, allerdings keinesfalls übertriebene Lichtblicke für eine angenehme Balance. 

Insgesamt nimmt die Handlung für meinen Geschmack erst in der zweiten Hälfte des Romans richtig Fahrt auf. Nichtsdestotrotz beweist Jojo Moyes ein weiteres Mal ihr Fingerspitzengefühl im Umgang mit zwischenmenschlichen Spannungsfeldern. Ein Roadtrip, der in Erinnerung bleibt, weil er Skurrilität mit Wahrhaftigkeit vereint.

FZIT: Begegnend. Festhaltend. Kurvenreich.